Vier Heiligenfiguren stehen nebeneinander in der Ausstellung des Focke-Museums.

Juli 2021

Corona in Bremen

fünf fälle von corona in bremen

Von Dr. Alfred Löhr

Corona kam im Jahre 965 nach Bremen. Wie das?

Es war Erzbischof Adaldag, der mit Kaiser Otto I. eine Reise nach Rom unternommen und aus Italien kostbare Reliquien mitgebracht hatte. Darunter waren auch, wie Adam von Bremen, der bedeutende Chronist der frühen bremischen Geschichte, berichtet, die Körper der Heiligen Victor und Corona. Noch 1382 warb  der damalige Erzbischof um Spenden für die unterversorgte Baukasse des Doms mit den Reliquien und nannte die integra corpora, die vollständigen Leiber von Victor und Corona.

Wer waren diese Heiligen? Von Corona erzählen die Legenden, dass sie im Jahr 177 bei den Christenverfolgungen unter den römischen Kaisern einen Martertod der besonderen Art erleiden musste: Zwischen zwei niedergebeugten Palmen sei sie fest angebunden und bei deren Hochschnellen zerrissen worden. Ihre Legende wird stets zusammen mit der des Hl. Viktor erzählt.

Der Kult um die Heilige verbreitete sich parallel mit dem Handel ihrer Reliquien nach Norden. Nicht nur Bremen, auch Quedlinburg und Aachen waren in ottonischer Zeit entsprechend versorgt worden.

Jahrhundertelang hören wir dann nichts von ihr. Erst in den Jahrzehnten um 1400 muss sie eine herausragende Rolle im Kultangebot der Domkirche gewonnen haben. In dieser künstlerisch so fruchtbaren Zeit sind nicht weniger als vier Darstellungen der Heiligen materiell auf uns gekommen, eine weitere um 1500. Das ist in der bildarmen Überlieferung von mittelalterlichen Kunstwerken aus Bremen eine erstaunliche Anzahl.

Die älteste Bremer Darstellung finden wir im Dom. Auf zwei hohen Wangen des ehemaligen Chorgestühls, die um 1360 entstanden, sind die neben Petrus meistverehrten Heiligen des Doms verbildlicht, einerseits die beiden Ärzte Cosmas und Damian, gegenüber das Märtyrerpaar Corona und Viktor. Die Heilige trägt als redendes Attribut auf ihrer rechten Hand eine Krone (lat. corona) und in der anderen einen Palmzweig, gleichermaßen sowohl ein auf ihr Martyrium anspielendes Symbol als auch ein metaphorischer Hinweis auf den Sieg ihrer Standhaftigkeit im Glauben. 

Vier Heiligenfiguren stehen nebeneinander in der Ausstellung des Focke-Museums.
Vier Heiligenfiguren aus dem Bremer Dom, um 1420, zu sehen im Focke-Museum. Rechts steht die Heilige Corona mit ihrer Krone in der Hand.

Wenige Jahrzehnte später ließ der Bürgermeister Johann Hemeling in seiner Eigenschaft als Bauherr des Doms einen vergoldeten Reliquienschrein für die beiden Ärzteheiligen Cosmas und Damian anfertigen, in dem vermutlich auch andere Reliquien aus dem Bremer Domschatz mit aufbewahrt wurden. Auf den Wänden und Dachschrägen sind die Bremer Lokalheiligen als Reliefs aufgereiht. Unter ihnen ist natürlich auch Corona vertreten, erkennbar an der in ihrer Hand gehaltenen Krone. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, 1648, als man bei den Friedensverhandlungen in Osnabrück reichlich Kontakte zu katholischen Diplomaten knüpfen konnte, war dies eine dem Domkapitel willkommene Gelegenheit, das Überbleibsel aus „papistischen“ Zeiten gewinnbringend an Kurfürst Maximilian von Bayern zu verkaufen. Immerhin ist das gute Stück auf diesem Weg wenigstens erhalten geblieben. Ein einziges Mal kehrte es kurz nach Bremen zurück, als 1979 das Focke-Museum in der Ausstellung über die Geschichte des Doms den Schrein zusammen mit kostbaren frühmittelalterlichen Handschriften zeigen konnte. Heute  ist in der Münchener Michaelskirche diese größte jemals entstandene Bremer Goldschmiedearbeit immer noch zu sehen, wenn auch nur durch das Gitter einer Seitenkapelle. 

Wiederum kaum ein paar Jahre nach der Anfertigung des goldenen Schreins setzte Hemeling seine Kunstförderung fort, indem er den Lettner, jene arkadenartige Schranke zwischen Chor und Kirchenschiff des Doms, mit Statuen ausstatten ließ. Wie in fast allen anderen Kirchen, ist der Lettner in der frühen Neuzeit auch aus dem Bremer Dom verschwunden. Aber es gibt Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass die schöne Reihe der vier unterlebensgroßen Heiligenfiguren aus dem Bremer Dom, die heute als Dauerleihgabe im Focke-Museum ausgestellt sind, zu diesem Lettner gehörten.

Sie erlauben uns heute eine Vorstellung von der hohen Qualität der Bremer Bildschnitzkunst um 1420. Die Hl. Corona aus dieser Figurenfolge zeigt das besonders deutlich. Mit ihren mädchenhaft stillen Zügen, der verhaltenen Bewegung und dem differenziert modellierten Faltenfall kann sich ihr künstlerischer Rang neben den vielleicht nur wenige Jahre älteren, ungleich monumentaleren Rathausfürsten durchaus behaupten. Nur schade, dass die ursprüngliche farbige Fassung verloren ist.

Wir sehen: Corona spielte in Bremen eine besondere Rolle. Ihre Bedeutung für ganz Norddeutschland kann festgemacht werden an zwei hier gefundenen Pilgerzeichen. Das sind kleine, flache, aus Blei gegossene Reliefs, die an Pilgerorten verkauft und von den Wallfahrern an die Kleidung genäht wurden, um sich damit auf der Reise für ihre fromme Unternehmung zu legitimieren.

Das Focke-Museum besitzt eine der größten deutschen Sammlungen dieser Abzeichen, die vor allem zwischen 1910 und 1930 im Altstadtbereich der Weser gefunden worden waren. Der Bestand  ist im Untergeschoss des Schaumagazins unter „R“ wie „Reisen“ ständig ausgestellt.

Dazu gehören zwei vermutlich aus derselben Form gegossene Pilgerzeichen, die eine weibliche Heilige zeigen, die in betender Haltung zwischen zwei Palmenbäumen steht. An mehreren anderen Orten zwischen Holland und Danzig, vor allem in Stade, wurden weitere Exemplare gefunden. Faltenwurf und großer Nimbus weisen auf eine Entstehung um 1400 hin. Auf Grund des Palmenmotivs und der Fundverbreitung können wir sie als Darstellungen der Hl. Corona deuten. Mit absoluter Sicherheit ist das nicht zu beweisen (auch die Hl. Birgitta wurde kürzlich vorgeschlagen) (1), aber wenn die Bestimmung des Autors zutrifft, muss es eine nicht unbedeutende Wallfahrt zu den im Bremer Dom verehrten Coronareliquien gegeben haben.

Ein letztes Mal erscheint kurz vor der Reformation unsere Heilige in der von dem westfälischen Steinbildhauer Evert van Roden in Stein gehauenen Figurenreihe an den Schranken der lettnerartig ausgebildeten Westempore des Doms. Wieder hält Corona ihre Krone vor sich auf der linken Hand, die Rechte, in der ein Palmenzweig zu vermuten wäre, ist später mit einem Zepter ergänzt worden.

Im Kalendarium eines Messbuchs, das Erzbischof Johann Rode 1511 drucken ließ, also etwa gleichzeitig mit der steinernen Figur, ist der 14. Mai als Fest der Heiligen Viktor und Corona durch roten Schriftdruck als besonderer Feiertag hervorgehoben.

Pilgerzeichen
Dieses Pilgerzeichen aus der Sammlung des Focke-Museums wird als Hl. Corona, aber auch als Hl. Birgitta gedeutet.

Seit der Reformation spielte Corona in Bremen keine Rolle mehr, abgesehen davon, dass in letzter Zeit die oben beschriebenen Darstellungen gelegentlich in kunstgeschichtlichen Zusammenhängen beachtet wurden. In ländlich-katholischen Regionen wurde sie dagegen noch vereinzelt verehrt, an ein oder zwei Orten auch als Helferin bei Tierkrankheiten. Mit welchen Fürbitten die Hl. Corona im mittelalterlichen Bremen von den Gläubigen angerufen wurde, wissen wir allerdings nicht. Die heutzutage von einigen Medien vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie verbreitete Behauptung, die Hl. Corona sei früher als „Seuchenpatronin“ angerufen worden, ist jedenfalls nicht belegbar.

1)Hartmut Kühne und Jörg Ansorge, Die Pilgerzeichen aus dem Hafen von Stade, in: Stader Jahrbuch 2016, weisen das Zeichen dem Birgittenkloster Marienwohlde bei Mölln zu. Ihr Argument, Corona werde stets mit offenem Haar dargestellt, wird durch ein Straßburger Glasfenster widerlegt.