Stalhof-Silber nach New York ausgeliehen
Zum Händewaschen viel zu schön
Von Alexandra Albrecht
Im März 2019 schrieb der Direktor des Metropolitan-Museum of Art, Max Hollein, dem Focke-Museum in Bremen einen Brief. Er bat um die Leihgabe des Stalhof-Silbers für eine große Sonderschau seines Hauses. Dass das New Yorker Met ein deutsches Landesmuseum um ein Objekt bittet, kommt eher selten vor, doch im Bremer Landesmuseum war man nicht verwundert, weiß man doch um die Bedeutung der Stücke, die auch schon in der Berliner Sonderschau „Der britische Blick. Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ (2016/17) zu sehen waren. Holleins Wunsch wurde jedenfalls erfüllt, und so waren Becken und Kanne bis zum 8. Januar 2023 in der Ausstellung „The Tudors: Art and Majesty in Renaissance England“ in dem legendären Haus an der Fifth Avenue zu sehen.
Die schönen Künste wurden an den Höfen der Tudors (1485-1603) besonders gepflegt, um die eigene Rolle zu legitimieren und zu glorifizieren. Dafür sammelten sie Werke florentinischer Bildhauer, deutscher Maler, flämischer Gobelinweber und der besten Waffenschmiede, Goldschmiede und Drucker Europas. Gleichzeitig trugen sie mit ihren Aufträgen und Ankäufen dazu bei, dass sich ein eindeutig englischer Stil herausbilden konnte, was die von der amerikanischen Presse gefeierte Ausstellung im Metropolitan Museum of Art anhand von mehr als 100 Objekten dokumentiert. Darunter befinden sich ikonische Porträts, spektakuläre Wandteppiche, Manuskripte, Skulpturen und Rüstungen – sowohl aus der Sammlung des Met als auch von internationalen Leihgebern, darunter eben das Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Auf der Homepage des Museums bekommt man einen guten Eindruck von den herausragenden Exponaten: https://www.metmuseum.org/exhibitions/listings/2022/tudors
Für Met-Direktor Max Hollein und die zuständige Kuratorin Elizabeth Cleland sind die Bremer Stücke „Schlüssel-Objekte“ der Ausstellung, die den Wandel der Künste am englischen Hof während der Tudor-Zeit thematisiert. Da sich aus dem 16. Jahrhundert nur wenige englische Silberschmiede-Arbeiten erhalten haben, kommt dem Ensemble eine besondere Bedeutung zu, auch weil der Entwurf der Schale dem Maler Hans Holbein d. J. zugeschrieben wird, der sich seit 1532 in London aufhielt. Vor seinem Aufstieg zum Hofmaler war dieser ein vielbeschäftigter Künstler im Auftrag der deutschen Kaufleute, von denen er einige porträtierte.
Die von Alfred Löhr im Silber-Katalog des Focke-Museums 1981 erstmals überhaupt mit Holbein in Verbindung gebrachte Zuschreibung ist inzwischen von der Forschung anerkannt. Auch im Katalog der New Yorker Ausstellung heißt es, dass es wahrscheinlich sei dass der Entwurf auf Holbein zurückgehe. Denn der stilistische Vergleich mit anderen Entwürfen Holbeins für Silberarbeiten untermauert die Annahme, dass er auch das Bremer Becken kreiert hat: Seine glatten Flächen, Ornamentfelder und gebuckelten Wulste finden sich ganz ähnlich auf Entwurfszeichnungen des Renaissance-Meisters aus seiner Londoner Zeit. Das 1535/36 gefertigte Becken wird in der Mitte von einem Reichsadler verziert. Er war seit dem 15. Jahrhundert das Sinnbild des Londoner Hansekontors.
Die später gefertigte Gießkanne wird nicht Holbein zugeschrieben, sie ist wahrscheinlich nicht einmal für die Schale entworfen worden, denn sie hat auf dem Standring keinen festen Halt. Der knieende Putto auf dem Deckel der drei Jahrzehnte später, 1562/63, erstellten Kanne hält ein Weberschiffchen in den Händen und erinnert daran, dass am Stalhof vor allem Tuche umgeschlagen wurden. Die Wissenschaftler des Met haben im Vorfeld der Ausstellung herausgefunden, dass das Objekt wahrscheinlich von Affabel Partridge gefertigt wurde, dem Goldschmied, der den Schmuck für Königin Elisabeth I. herstellte.
Aber wie kamen diese kostbaren Objekte überhaupt nach Bremen? Mit dem Stalhof besaßen die Kaufleute der deutschen Hanse seit dem 15. Jahrhundert am Ufer der Themse eine Niederlassung. Zu ihr gehörten Wohn- und Lagerräume, Verkaufsbuden, Werkstätten und Kontore, Küchen, Speise- und Festsäle. Becken und Kanne dienten bei Festessen zum Reinigen der Hände, denn damals wurden noch keine Gabeln benutzt, stattdessen griff man mit den Händen zu. Als die Geschäfte nicht mehr wie gewünscht liefen, weil die Engländer zunehmend selber Stoffe herstellten, schloss die Hanse den Stalhof 1598. Wegen politischer Differenzen zwischen England und der Hanse wies die Königin im selben Jahr die noch wenigen verbliebenen Kaufleute aus ihrem Reich aus. Das Silber hatte man aus Sicherheitsgründen auf den Kontinent gebracht. 1609 kaufte Bremen in Lübeck „12 leffel – 38 lodt, eine Gießkanne – 84 lodt, ein Becken – 128 lodt“. Kanne und Becken sind die einzig noch erhaltenen Exponate des Stalhof-Silbers, die Objekte, die nach Hamburg, Köln, Danzig und Lüneburg gelangt waren, sind verschollen. Dabei hatte der Bremer Senat immer mal wieder, wenn er Geld benötigte, Teile des Rats-Silbers veräußert, Kanne und Becken aus dem Stalhof-Silber glücklicherweise aus bemerkenswertem Respekt für dessen historische Bedeutung nicht.
1977 übergab der Senat dieses an das Focke-Museum, wo es in der Dauerausstellung seinen festen Platz hat. Eine glückliche Fügung, denn schon der Museums-Gründer Johann Focke hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Geschichte der Stücke und ihren Weg von London nach Bremen erforscht, ihm waren sie „wertvolle hansische Reliquien“.
Dann der Schreck: Im August 1987 ereignete sich ein spektakulärer Diebstahl im Bremer Landesmuseum. Eines Nachts wurden eine Fensterscheibe und die Vitrine eingeschlagen und das Stalhof-Silber blitzschnell entwendet. Obwohl die neu installierte Alarmanlage anschlug und die Streifenwagen drei Minuten später am Focke-Museum ankamen, so beschrieb es damals der Weser-Kurier, floh der Täter unerkannt. Der Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst lobte eine Belohnung von 20.000 Mark aus. Die damalige Direktorin Dr. Rosemarie Pohl-Weber befürchtete, dass die Teile wegen ihres Silberwerts von 1500 Mark, der weit unter dem ideellen Wert der Stücke lag, eingeschmolzen werden. Es kam Gottseidank anders.
Die hohe Belohnung führte einen als Kontaktmann fungierenden Bremer Pastor auf die Spur des Täters. Die Schale, der er den breiten, ihm überflüssig erscheinenden Rand abschneiden wollte, musste er – gerade noch rechtzeitig – unter dem Bett hervorholen und der Polizei aushändigen.
Bevor Becken und Kanne auf Reise über den Atlantik gingen, hat die zuständige Diplom-Restauratorin Silke Nienstedt beide Teile gründlich untersucht, insbesondere das Wappen aus Email inmitten der Schale, das ein komplexes Schadensbild aufwies. Zudem entfernte sie Korrosion und dokumentierte den Zustand der Objekte.
Aufgrund der Empfindlichkeit der Stücke wurde für den Flug in die USA eigens eine Klimakiste mit Schwingungsdämpfer angefertigt, die die Erschütterungen beim Fahren und Fliegen ausgleicht. Silke Nienstedt hat den Transport als Kurierin nach New York begleitet, den Zustand der Stücke nach der Ankunft abermals untersucht und dokumentiert und sie gemeinsam mit den Kollegen des Met in der Vitrine arrangiert. Nach Ablauf der Sonderausstellung Anfang Januar 2023 holte sie sie auch wieder ab und begleitete sie nach Hause. Bis dahin konnten die Besucher und Besucherinnen immerhin zwei Repliken in der Dauerausstellung des Focke-Museums sehen.
Eine Replik der Kanne gibt es schon seit Johann Fockes Zeiten, weil das Original damals noch im Rathaus verwahrt wurde. Nach dem oben erwähnten Diebstahl fertigte die Bremer Silbermanufaktur Wilkens zudem eine Kopie der Schale an. Beide Objekte wurden immer mal wieder anstatt der Originale verliehen, bzw. vorübergehend ausgestellt.