REise in die VErgangenheit
Sohn des Fotografen Julius Frank zu Besuch im Focke-Museum
Von Alexandra Albrecht
Wahrscheinlich hatte niemand eine längere Anreise zur Ausstellung von Julius Frank als sein Sohn Michael. Er kam auf Einladung des Bremer Kultursenators Dr. Andreas Bovenschulte extra aus San Diego, Kalifornien, nach Bremen, um die Fotografien seines Vaters im Focke-Museum zu sehen. Und war sichtlich gerührt und beeindruckt. Immer wieder entfuhr ihm ein leises „wow“ beim Rundgang mit der Kuratorin der Sonderschau, Dr. Karin Walter.
Obwohl der Sohn des Fotografen viele Arbeiten kennt, beeindruckt ihn die Qualität der Aufnahmen mit ihren raffinierten Effekten aus Licht und Schatten immer aufs Neue. „Wie viele Abzüge er wohl gemacht hat, um diesen einen perfekten dann hinzubekommen“, fragt er sich. Frank war ein Meister an der Kamera, aber auch im Labor. „Ich bin stolz auf meinen Vater.“ Die Ausstellung „Julius Frank. Eine jüdische Fotografenfamilie zwischen Deutschland und Amerika“ zeigt ausschließlich Vintage Prints, also vom Fotografen selbst gefertigte Abzüge, was etwas Besonderes ist.
Die Familie Frank hat den Nachlass der drei Generationen umfassenden Fotografen-Dynastie dem Focke-Museum und dem Heimatverein Lilienthal vermacht. Im Sommer 2020 kam eine zwei Kubikmeter große Kiste mit Abzügen, Negativen, Briefen, Fotoalben und den vielen Auszeichnungen von Julius Frank in Bremen an. Die Fotokuratorin des Museums hat das Konvolut aufgearbeitet, inventarisiert, die Sonderschau konzipiert und den Katalog verfasst. „Sie wissen mehr über meinen Vater und seine Arbeit als ich“, sagte Michael Frank zu Dr. Karin Walter.
Dass die Franks sich entschieden haben, diesen Schatz nach Deutschland zu geben, ist alles andere als selbstverständlich. Es ist eine noble Geste nach all dem Leid, dass der Familie hier widerfahren ist. Julius Frank, der in Lilienthal ein erfolgreiches Fotostudio von seinem Vater und Großvater übernommen hatte, wurde ab 1933 aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, weil er Jude war.
Sein Besitz ging für einen lächerlichen Betrag an einen „arischen“ Fotografen über, der selbst diesen nicht in Gänze bezahlte. Frank liebte seine Heimat, besonders Lilienthal, wo er bis 1933 ein geschätztes Mitglied der Gesellschaft war. 1936 gelangten ihm die Flucht nach Amerika und der berufliche Neustart als Fotograf und später als Mitarbeiter von Julius Shulman, dem berühmten amerikanischen Architekturfotografen. Seine Freundin Hildegard folgte ihm, sie gründeten eine Familie, aus der drei Kinder hervorgingen. Niemand von ihnen wurde Fotograf.
Für den bald achtzigjährigen Sohn ist der Rundgang ein berührender Rückblick in sein eigenes Leben. Die Fotoalben mit den Bildern der Mutter in jungen Jahren, die Aufnahme von seiner Schwester beim Flötenspiel – das alles bewegt ihn sehr. Beim Rundgang kann die Kuratorin im Gespräch mit Michael Frank noch einige Fragen klären. Zum Beispiel: Warum hieß das Haller-Haus Haller-Haus? Die Innen- und Außenaufnahmen eines modernen Midcentury-Bungalows veröffentlichte seinerzeit die „Los Angeles Times“, Julius Frank hatte die Fotos mit Haller-Haus betitelt. Michael Frank weiß warum: Es handelte sich um das Nachbar-Haus der Franks, die Bewohner hießen Haller, nicht etwa der Architekt.
Erst nach dem frühen Tod des Vaters 1959 habe die Mutter über das Leben während des Nationalsozialismus und die Folgen des Antisemitismus gesprochen, so Michael Frank. Der Vater habe nie davon erzählt. „Es ist wichtig, dass die Ausstellung auch die Geschichte dokumentiert.“ Interessiert zeigte Frank sich auch an der Ausstellung „Verschleppt. Versklavt. Vergessen? Zwangsarbeit in Bremen 1939-1945“, die ihm der Kurator des Focke-Museums, Dr. Jan Werquet, vorstellte. Auch der Fotokünstler Olaf Schlote führte den Besucher persönlich durch seine Sonderschau „Memories“, die neben den Gedenkstätten des Holocausts auch Porträts von überlebenden Jüdinnen und Juden zeigt.
Nach dem Besuch des Bremer Landesmuseums folgte Michael Frank einer Einladung ins Rathaus, wo ihn Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte durch die Obere Rathaushalle und die Güldenkammer führte. Als Geschenk erhielt er vom Bürgermeister ein Buch über das Rathaus sowie eine Original-Kupferplatte des alten Daches. Abends wohnte der Amerikaner einer Diskussion im Focke-Museum zur Erinnerungskultur bei.
Der zweite Tag seines Aufenthalts führte ihn dann nach Lilienthal. Hier kam Michael Frank mit Mitgliedern des Heimatvereins zusammen, der 2004 in den Tagebüchern des Lehrers und Schriftsteller Karl Lilienthal auf das Schicksal der Franks aufmerksam geworden war. Peter Richter und Harald Kühn recherchierten damals den Fall und suchten und fanden die Franks in Amerika. Auf Einladung der Gemeinde Lilienthal besuchten Hildegard, Barbara und Michael Frank 2006 Bremen und Lilienthal.
In diesem Jahr legten Michael Frank und der Heimatverein am 27. Januar, dem Gedenktag an die Verbrechen des Nationalsozialismus, gemeinsam weiße Lilien auf den Stolpersteinen vor dem früheren Wohn- und Geschäftshaus der Franks ab.
Trotz seines fortgeschrittenen Alters plant Frank einen weiteren Besuch in Bremen, dann mit seiner Tochter, der er den Katalog zur Ausstellung mitbringt. War die Entscheidung richtig, den Nachlass an das Focke-Museum zu übergeben? „Ja, es ist eine win-win-situation, denn wir haben diese tolle Ausstellung bekommen.“ Sie ist noch bis zum 19. März 2023 im Bremer Landesmuseum zu sehen.